Der Schlüsselbegriff lautet ausgleichende Gerechtigkeit
29.10.12. Wieder was von Stephane Hessel: Mit seinem Pamphlet “Empört euch!” trat der ehemalige Widerstandskämpfer Stéphane Hessel die Occupy-Bewegung los. Auch nach deren Scheitern will der 95-Jährige vor allem eins: Den Kapitalismus an die Kette legen. [...]
FTD: Monsieur Hessel, Sie haben mal gesagt: “Von außen betrachtet ist Europa das Land der Vergangenheit. Es ist das Land des Kapitalismus, der sich nicht erneuert hat.” Das war 1962. Wie muss sich der Kapitalismus heute angesichts der Euro-Krise erneuern?
Stéphane Hessel: Die Idee von Europa in die Tat umzusetzen ist sicher das Wichtigste und Gelungenste, was meine Generation erreicht hat. Das 20. Jahrhundert war geprägt durch den Aufbau Europas. Unglücklicherweise hat dieses Europa noch nicht die Form gefunden, die es ihm ermöglicht, die Probleme der jetzigen Krise zu lösen: eine gesamteuropäische Sozialdemokratie, die den Menschenrechten, der Umweltpolitik und der sozialen Gerechtigkeit ihren verdienten Platz einräumt. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich im Zuge eines deregulierten Kapitalismus in den letzten 20 Jahren immer mehr vergrößert.
FTD:Wäre eine Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft denn die Lösung für Europa?
Stéphane Hessel: Der Schlüsselbegriff lautet ausgleichende Gerechtigkeit. Wir müssen zu einem Gleichgewicht zurückfinden, das bereits existiert hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Phase von 30 Jahren, in denen die Wirtschaft stabil war und die Grundbedürfnisse der Europäer befriedigte, eben weil die Märkte reguliert wurden. Das war die Bundesrepublik von Adenauer und Brandt, das Amerika Carters. Leider folgten darauf Thatcher, Kohl, Reagan und Bush. Wir können dieses Gleichgewicht wiederfinden, wenn wir entsprechende Maßnahmen im Sozialsystem ergreifen und die Funktionsweise des Marktes ändern. Der deutsche Entwurf zur Begrenzung des Hochfrequenzhandels etwa geht in die richtige Richtung.
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