»Vielleicht kann Fiskalpakt noch gestoppt werden«
Ein »Krisenkongreß« der Globalisierungskritiker beriet am Wochenende in Brüssel über künftige Aktionen. Gespräch mit Alexis Passadakis
Interview: Wolfgang PomrehnAlexis Passadakis ist Mitglied des bundesweiten Rates des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC
Sie haben am Wochenende in Brüssel an einem »Krisenkongreß« der europäischen Globalisierungskritiker teilgenommen – wer hat dort sonst noch diskutiert?
Den Kongreß hatte das »Corporate Europe Observatory« organisiert, eine Organisation, die sich seit 15 Jahren mit der neoliberalen Politik der EU beschäftigt. Gekommen waren etwa 220 Vertreter von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aus 14 europäischen Ländern, um über die aktuelle autoritäre Transformation der EU und deren Austeritätspolitik zu sprechen – das heißt: über die dramatischen Einschnitte bei den Sozial- und Bildungsausgaben. Nicht teilnehmen konnte leider der als Redner geladene Walden Bello, ein Wissenschaftler und Parlamentsabgeordneter von den Philippinen, der viel zur internationalen globalisierungskritischen Bewegung beigetragen hat. Ihm wurde auf Intervention des belgischen Innenministeriums die Einreise verweigert, obwohl er über einen Diplomatenpaß verfügt.
Wieso waren nur 14 der 27 EU-Mitgliedsländer vertreten? Liegt es an dem alten Problem der sozialen Bewegungen Westeuropas, daß die Kontakte nach Osteuropa noch immer unterentwickelt sind? Und daß sich auch britische Bewegungen gerne fernhalten?
Es gab durchaus Bemühungen, Leute aus Osteuropa einzubinden. Das hat auch hin und wieder geklappt – aber aus den baltischen Staaten zum Beispiel war diesmal nur einer da.
Was wurde denn auf der Konferenz diskutiert?
Über die Ursachen der Krise gab es einen breiten Konsens; schwieriger war es hingegen bei der Frage, was man dagegen tun soll. Gleich zu Beginn der Konferenz brach ein Konflikt über die Bewältigungsstrategien aus. Auf der einen Seite standen Menschen, die einen euro-keynesianischen Ansatz verfolgen, wie etwa Trevor Evans von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Zu einer entsprechenden Politik gehören unter anderem verstärkte wirtschaftspolitische Integration und Umverteilung aus den Überschußländern, zu denen vor allem die Bundesrepublik gehört, in die wirtschaftlich schwächeren Länder.
Dem stand eine andere Gruppe gegenüber, die darauf verwies, daß es unter den gegebenen Verhältnissen fraglich ist, ob ein solches Gebilde demokratisch kontrolliert werden kann. Unklar sei auch, ob soziale Bewegungen und Gewerkschaften zur Zeit die Macht haben, eine solche Umverteilung durchzusetzen. Außerdem gibt es ökologische Fragezeichen zu dem Projekt eines großen Marshall-Plans für die EU, wie er einigen Keynesianern vorschwebt. Und schließlich stellt sich die Frage, ob der Binnenmarkt und die wirtschaftliche Liberalisierung nicht an vielen Punkten zurückgedreht werden müssen.
Gab es auch Gemeinsamkeiten? Vielleicht eine politische Plattform gegen die offizielle Krisenpolitik der europäischen Regierungen und der EU?
Konsens war, daß die Austeritätspolitik abgelehnt wird – also der Sparzwang, wie er durch die Troika von EU, EZB sowie IWF und mit den Kürzungsprogrammen überall durchgesetzt und jetzt mit dem Fiskalpakt institutionalisiert werden soll . Einigkeit besteht darin, daß dagegen mobilisiert werden muß. Vielleicht kann der Fiskalpakt ja sogar noch gestoppt werden. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß, aber am 31. Mai gibt es darüber in Irland ein Referendum.
Und die Demokratiefrage?
Das Problem sehen alle. Auch die Euro-Keynesianer bestreiten nicht, daß es eine autoritäre Transformation der EU gibt, daß die Parlamente an den Rand gedrängt werden. Auch die antidemokratische Atmosphäre, die sich immer mehr ausbreitet, das massive Vorgehen gegen soziale Bewegungen und die Verletzung der Grundrechte werden von allen kritisiert. Neuestes Beispiel ist der Versuch der schwarz-grünen Stadtregierung in Frankfurt am Main, die dortigen Proteste gegen die EU-Krisenpolitik zu verbieten.
Wie geht es weiter?
Am 12. Mai gibt es einen internationalen Aktionstag, in der Woche danach Protestaktionen in Frankfurt und Ende Mai das Referendum in Irland. Die nächste große europäische Konferenz wird es Anfang November in Florenz geben.
http://www.jungewelt.de/2012/05-08/032.php