weg mit dem gez gebühren terror
Quotenfetischismus
 [1]Die „Bild“-Zeitung hat recht: Die Fernseh-Gebühren gehören abgeschafft. Denn es scheint nicht länger einsichtig, dass unter dem Deckmantel des „Bildungsauftrags“ Moderatoren, Talkmaster und eine Handvoll hausgemachter TV-Stars zu Millionären (gemacht) werden, qualitativ hochwertige Dokumentar- und Spielfilme aber mit einem Bruchteil jener Budgets auskommen müssen, die Produktionen benötigten, um zumindest ihre Kameramänner/-frauen, RegisseurInnen und AutorInnen anständig zu bezahlen. Das ist öffentlich subventioniertes Lohn- und Qualitätsdumping. (Von Rudi Gaul, Regisseur des Films Wader Wecker Vater Land)
Eines vorneweg: Es gibt sie ohne Frage, jene Redakteure im deutschen und öffentlich-rechtlichen TV-Dschungel, für die Qualität und Quote keine Gegensätze sind, sondern sich sogar bedingen; die darum kämpfen, im Verbund mit Filmemachern, Produzenten und Regisseuren, qualitativ hochwertige Spiel-, Fernseh- und Dokumentarfilme zu produzieren, unabhängig davon, was das Quotenmeter vor und hinter dem Komma sagt – die sich also, um es kurz zu machen, in ihren Entscheidungen an langfristigen (Qualitäts-)Kriterien orientieren anstatt nur darauf zu schielen, wieviele Menschen kurzfristig in die Röhre schauen. Denn solch kurzfristige Quantitäts-Kriterien unterliegen schon einmal der sehr grundlegenden Fragwürdigkeit, in hohem Maße nicht in erster Linie von Unterhaltungswert und Qualität der etwaigen Produktion, sondern von so banalen Dingen wie etwa Wetter, Sendezeit und Werbeetat abhängig zu sein.
Aber auch wenn es sie gibt, diese Muster-Redakteure, die wir Filmemacher uns wünschen und mit denen ich auch schon zusammenarbeiten durfte; es sind ihrer zu wenig. Und vor allem: In diesem Fall stimmt leider das Marx’sche Diktum, dass der Einzelne nicht in der Lage ist, das System zu ändern. Vielmehr diktiert das System die Regeln und die sehen, inzwischen und schon seit Langem, auch im öffentlich-rechtlichen Formatdschungel das Quotendiktat vor: Das besagt, dass das meiste Geld für diejenigen Sendungen und Sendeformate ausgegeben wird, die auch am meisten Zuschauer vor den Bildschirm locken: also zum Beispiel die Telenovelas von „Rote Rosen“ bis „Schwarze Lilien“, Soap Operas und natürlich der „Musikantenstadl“. Und woher weiß der geneigte Programmdirektor, wie viele Zuschauer das tatsächlich sind? Das sagt ihm die Quote, der statistisch ermittelte Zuschauer-Quotient. Klingt zunächst plausibel, schließlich produzieren wir alle für den Zuschauer, das unbekannte Wesen. Nur: erstens weiß kein Mensch wirklich, wie genau diese Quote erhoben wird. Selbst eingefleischte Fernsehmacher gestehen auf Nachfrage ein, dass dabei eine Gleichung mit erstaunlich vielen Unbekannten im Spiel – und eine spürbare Fehler-Quote quotentechnisch nicht auszuschließen sei. Und zweitens: Das öffentlich-rechtliche Sendersystem von ARD und ZDF ist gebührenfinanziert und damit vom Steuerzahler subventioniert – und hat sich dafür einst zum Bildungsauftrag und zur Unabhängigkeit vom ungebremsten Quotenwettbewerb verpflichtet. Das heißt: Im Gegensatz zu den privaten Sendern müssen die Öffentlich-Rechtlichen nicht von der Quote leben. Dafür sorgen wir, die Gebührenzahler. Und, eigentlich: pacta sunt servandum. Warum sich also im Gegenzug genau dieses öffentlich-rechtliche Fernsehen freiwillig (oder unfreiwillig?) schamlos dem Quotendiktat, dem ungebremsten Wettbewerb um die statistisch definierte Zuschauergunst unterwirft, das verstehe wer will. Als Folge davon verfügt jener eingangs belobigte Qualitäts-Redakteur in den Kernbereichen der Film- und Fernsehhaltung, zu denen ohne Zweifel einheimische Spiel- und Dokumentarfilmproduktionen im abendfüllenden Sendeformat gehören, über einen Etat, über den etwa die Produktionsfirmen des „Musikantenstadls“, aber auch jeder wöchentlichen Polittalkshow (in der ARD im Augenblick fünf an der Zahl, von den Polittalkformaten der Dritten Programme ganz abgesehen) nur lachen können. Die skandalöse Unerhörtheit (und Irrationalität) dieser systemimmanenten Verfahrensweise ist allgemein bekannt – und wird trotzdem von Politik und Senderaufsichträten (beides greift, wie wir wissen, geschmeidig ineinander) geflissentlich ignoriert. Dabei müssen und dürfen – wenn z.B. vom Bildungsauftrag die Rede ist – Bildung und Unterhaltung keineswegs als Gegensätze aufgefasst werden: die Bildung einer Gesellschaft ist immer auch abhängig von der Unterhaltungsqualität der Produkte ihrer Kulturindustrie: und da macht es nun einmal einen erheblichen Unterschied, ob das Leitmedium dieser Kulturindustrie (das TV) ihren Konsumenten zugunsten des „Musikantenstadls“ oder unzähliger Sportsendungen qualitativ hochwertige, nicht selten preisgekrönte Spiel- und Dokumentarfilme nur noch nach 22.00 Uhr im Spartenprogramm anbietet.
Deswegen: nehmt entweder euren Bildungs- und Kulturauftrag ernst und lasst diesen Quotenfetischismus – oder aber, so schwer das zu schreiben fällt: die „Bild“-Zeitung hat tatsächlich recht, und die Gebühren gehören abgeschafft. Denn es scheint nicht länger einsichtig, dass unter dem Deckmantel des „Bildungsauftrags“ und mithilfe von Gebührengeldern Moderatoren, Talkmaster und eine Handvoll hausgemachter TV-Stars zu Millionären (gemacht) werden, qualitativ hochwertige Dokumentar- und Spielfilme aber mit einem Bruchteil jener Budgets auskommen müssen, die Produktionen benötigten, um zumindest ihre Kameramänner/-frauen, RegisseurInnen und AutorInnen anständig zu bezahlen. Das ist öffentlich subventioniertes Lohn- und Qualitätsdumping. Eingedenk der Tatsache, dass in Deutschland praktisch keine Kinofilme mehr ohne beachtliche Beteiligungen der öffentlich-rechtlichen TV-Sender produziert werden können, wird die Tragweite dieses Gebühren-Skandals vollends offensichtlich und auch die Problematik, warum es den deutschen Genrefilm (abgesehen vom Kriminalfilm und Rosamunde Pilcher – Schmachtfetzenverschnitt) kaum noch gibt.
Eine deutsche TV-Landschaft, in der Quote und Qualität nicht als grundlegende Gegensätze begriffen werden und jene Don Quichottes unter den Redakteuren in den Spielfilm- und Dokumentarfilmabteilungen, die sich unermüdlich für die Vereinbarkeit dieser vermeintlichen Gegensätze bemühen, nicht zu einer aussterbenden Spezies werden – dieses TV ist eine Utopie, die gegenwärtig wenig realisierbar scheint als jemals zuvor. Und trotzdem oder gerade deswegen müssen wir dafür öffentlich vernehmbar eintreten: Filmemacher, Politiker, Künstler – und Redakteure, also diejenigen, die innerhalb des Systems für ein anderes System kämpfen. Denn das Massenmedium Fernsehen ist leider zu wichtig in seiner meinungs- und öffentlichkeitsbildenden Wirksamkeit als dass wir es einfach links liegen lassen könnten. Auch wenn wir manchmal große Lust dazu hätten. hagen rether, hinter-den-schlagzeilen.de