Die deutsche, konsequente Demütigung
Griechenland und die deutschen Medien
Die andere Seite
Michalis Pantelouris ist gelernter Journalist. Er ist Deutschgrieche. Oder andersherum Grecogermane. Pantelouris sitzt zwischen den Stühlen. In Deutschland muss er die Griechen erklären und in Griechenland die Deutschen. Gerade das fällt ihm zunehmend schwer. Denn die Art, wie Medien in Deutschland Stimmung gegen Griechenland machen, empfindet Pantelouris als unerträglich. Eine Abrechnung.
Niemand hatte sich vorgestellt, dass eine links geführte griechische Regierung in Deutschland freudig empfangen würde. Schon gar nicht eine, deren tongebender Partner "Koalition der Radikalen Linken" heißt (dafür steht das griechische Kürzel Syriza). Aber noch weniger vorstellbar war bis vor kurzem eine andere Sache: dass ein amtierender Finanzminister eines europäischen Landes (Griechenland) sich in TV-Talkshows von einem Amtskollegen (Bayern) würde sagen lassen müssen, er solle "seine Hausaufgaben machen".
Das ist der Ton, den vor allem Medien in Deutschland gesetzt haben, seitdem die neue griechische Regierung Ende Januar an die Macht gewählt wurde: ein Ton der konsequenten Demütigung. Wenn man sich die trommelnde Kaskade der Berichterstattung der vergangenen Wochen noch einmal kurz vor Augen führt, dann wirkt sie fast unwirklich. Aber natürlich muss man es trotzdem tun.
Schon vor der Wahl erschienen in deutschen Medien anmaßende Kommentare. "Kanzlerin, stoppen Sie die Abzock-Griechen" schrieb der Chefreporter der Bild-Zeitung, und der Welt-Wirtschaftsressortleiter forderte "Euro-Länder müssen den Griechen mit Rauswurf drohen". Es ist eine merkwürdige Disharmonie der Forderungen, wenn man bedenkt, dass die griechischen Wähler aus ihrer Sicht vor allem das Ziel hatten, endlich das alte, korrupte System abzuwählen. In Deutschland forderte man genau das lautstark seit Jahren. Nur dann nicht, wenn echte Veränderung drohte: Vor den Wahlen 2012 hatte Wolfgang Schäuble noch vor einem Regierungswechsel gewarnt und wenig subtil mit einem "Grexit" gedroht – also dem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Es gehört zur merkwürdigen Dynamik dieser Krise, dass sich weite Teile der Medien, wie Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez es ausdrückt, "immer voll auf Merkel-Linie" befinden.
Eine antideutsche Geste?
Nein, angesichts einer übergroßen Merkel-Koalition im Bundestag und eines in der Griechenland-Krise auf Regierungslinie schwimmenden Medien-Mainstreams war nicht zu erwarten, dass eine griechische Regierung warm empfangen würde, die für echte Veränderung auch der europäischen Politik stehen will. Aber welch manische Ablehnung ihr entgegenschlagen würde, war dann doch überraschend.
Premierminister Alexis Tsipras legte als einen seiner ersten Amtsakte Rosen an einem Mahnmal für getötete Nazi-Widerstandskämpfer nieder – was als antideutsche Geste verstanden wurde. Außenminister Nikos Kotzias protestierte, er habe einer "einstimmig" gefällten Russland-Sanktion noch gar nicht zustimmen können – was als gegen die EU gerichtet verstanden wurde. Mitarbeiter des Protokolls haben mir irritiert erzählt, die Botschafter Russlands und Chinas seien nach jeder Wahl unter den ersten, die Glückwünsche ihrer Regierung überbrachten – dieses Mal, beim "linksradikalen" Tsipras, wurde es als Versuch gewertet, neue, andere Verbündete als die Partner in der EU zu finden. Außerdem wurde seine Koalition mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen mit einem Furor kommentiert, den man sich als Beobachter bei der Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten mit der tatsächlich rechtsextremen LA.O.S-Partei 2011 gewünscht hätte.
Und das war nur der erste Tag. In den folgenden entdeckte die Welt in manischem Überschwang sogar noch angebliche Judenfeindlichkeit bei Finanzminister Yanis Varoufakis, weil der – es wirkt fast dadaistisch, das aufzuschreiben – sich "begeistert [äußert] über antizionistische Juden, die infrage stellen, dass es eine gute Idee war, dass Juden einen Nationalstaat in Palästina gegründet haben". Der eine antizionistische Jude, über den Varoufakis sich begeistert geäußert hat, ist übrigens der österreichische Sozialdemokrat und Ex-Kanzler Bruno Kreisky – und natürlich war der Grund für Varoufakis' Begeisterung keineswegs dessen Antizionismus. Wie gesagt, es ist gaga, aber offensichtlich war es manchen deutschen Medien nicht zu abwegig, um damit Stimmung gegen eine demokratisch gewählte Regierung zu machen, die sich nicht auf die Merkel-Linie begeben wollte.
Eine monströs verzerrte Realität
Die Erzählung der griechischen Krise hat sich längst von den Realitäten gelöst. Das hat vornehmlich drei Gründe, drei Grundfehler, die sich in der Berichterstattung finden, und ich fürchte, sie sind teilweise immanent in den Gesetzen der Medien. Da ist erstens die Tatsache, dass Konfrontation spannender ist als Kooperation. Zweitens werden Zitate nicht daraufhin untersucht, was in ihnen steckt, sondern darauf, was man zugespitzt aus ihnen machen kann. Und drittens haben viele Medien das Problem, Fehler nicht eingestehen zu können oder zu wollen. All das ist Teil der inneren Logik von Medien, und all das lässt sich auch in der Berichterstattung über das deutsch-griechische Verhältnis in den vergangenen Jahren studieren.
Als der griechische Außenminister am Morgen seines Amtsantritts darauf bestand, er müsse "einstimmigen" Erklärungen der EU zu Russland erst einmal zustimmen, bevor sie einstimmig getroffen werden könnten, werteten die meisten Medien das als Drohung mit einem Veto gegen Russland-Sanktionen. Als er direkt danach aber Sanktionen gegen Russland mittrug, änderten sie angesichts neuer Fakten keineswegs ihre Einschätzung. Im Gegenteil: "Griechenland rudert zurück" hieß es etwa auf stern.de. Das war der Anfang einer Erzählung, die später in der Behauptung Wolfgang Schäubles mündete, in Europa wüsste "niemand, was die griechische Regierung eigentlich genau will". Der simple Gedanke, dass gewählte Vertreter sich zusammensetzen, um gemeinsam zum Wohle ihrer Völker – oder gar einer Völkergemeinschaft – etwas zu erreichen, scheint völlig weltfremd. Es geht um Konfrontation bis zum Sieg, als sei Politik im besten Fall ein Spiel und im schlechtesten ein Krieg und Demütigung ihr wichtigstes Mittel. Was einzelne Schritte auf diesem Weg bedeuten, ist dabei egal.
Möglich wird das durch eine mir bis vor kurzer Zeit noch unvorstellbare Wurstig- und Beliebigkeit. Sie ist nicht nur an der Griechenland-Berichterstattung sichtbar, aber hier besonders deutlich. Die Welt am Sonntag verbreitet in einer großen, auf dem Titel angekündigten Geschichte, der griechische Finanzminister interessiere sich nicht für 800 Milliarden Franken reicher Griechen, die unversteuert Gewinne auf Schweizer Konten anhäuften. 800 Milliarden Franken, also dreimal das Bruttoinlandsprodukt Griechenlands, eine unvorstellbare Zahl – und natürlich ist sie falsch, um den Faktor 1.000 falsch, die echte Zahl ist 800 Millionen. 799,2 Milliarden weniger als behauptet.
Eine monströs verzerrte Realität
Drei Autoren haben an der Geschichte geschrieben, die Zahl wird immer wieder genannt, im Editorial zitiert, sie steht in großer Überschrift auf der Titelseite. Ironischerweise werfen die Autoren in der Geschichte dem griechischen Finanzminister ausgerechnet Unprofessionalität vor, während eine Phalanx von professionellen Journalisten der Welt am Sonntag, von Autoren über Ressortleiter, Schlussredakteure und Chefredakteure allesamt aufgeregt eine monströs verzerrte Realität verbreiten, ohne es zu bemerken. Das ist wurstig. Immerhin: Die Redaktion hat sich inzwischen "für dieses Versehen" entschuldigt.
Auf Focus Online erklärte kurz nach Amtsantritt der Regierung eine Videokolumnistin den Zuschauern, der griechische Finanzminister habe den Austritt aus dem Euro angekündigt. Natürlich war das falsch, ein Interpretationsfehler, wie Chefredakteur Daniel Steil dem Medienblogger Stefan Niggemeier erklärte, der Satz sei deshalb aus dem Video gekürzt worden. Das Phänomenale daran ist: Ob Griechenland aus der Euro-Zone aussteigt oder nicht, macht für den Rest des Beitrags überhaupt keinen Unterschied. Da hatte eine Redakteurin die (allerdings falsche) Nachricht des Jahres, und ihre Bewertung der Weltlage ändert das kein bisschen? Griechenland im Euro, nicht im Euro, ganz egal?
Als Deutschgrieche oder Grecogermane in Deutschland steht man in dieser Zeit zwischen den Stühlen, ich finde mich regelmäßig in der Position, in Deutschland Varoufakis erklären zu müssen und in Griechenland Schäuble.
"Mitleid mit den Griechen"
Das ist nicht immer einfach, vor allem, weil auch Wahrnehmungen sich offensichtlich von der Realität entkoppeln. Man findet kein böses Wort, das Varoufakis je über Schäuble oder die deutsche Regierung gesagt hat, trotzdem gilt er als Provokateur.
Wolfgang Schäuble hingegen hat schon nach den ersten zwei Wochen der neuen Regierung öffentlich "Mitleid mit den Griechen" bekundet, weil sie eine unverantwortlich handelnde Regierung gewählt hätten. Schäuble gilt als Ausbund von Seriosität und als Opfer unberechtigter Attacken. Wahrscheinlich greift hier das Prinzip des Welt-Rezensenten, der die TV-Dokumentation Macht ohne Kontrolle – die Troika von Harald Schumann deswegen verriss, weil Geschichte nicht aus Sicht der Verlierer geschrieben werden dürfe. Und das ist tatsächlich der wichtigste Punkt, über den man sprechen muss, wenn man über Griechenland, Deutschland und die Berichterstattung in der Euro-Krise spricht: Einige haben offensichtlich längst den Bereich verlassen, in dem Journalismus noch Grundlage oder zumindest Dienstleistung für den Austausch von Informationen und Argumenten ist, also den demokratischen Prozess.
Harald Schumanns Film lief wenige Wochen nach den griechischen Wahlen im deutschen Fernsehen, zunächst auf Arte, etwas später leicht gekürzt in der ARD. Im Film spricht auch Yanis Varoufakis, aufgenommen ein gutes halbes Jahr, bevor er Minister wurde. Er sagt, was er immer sagt: dass Griechenland 2010 pleite war und die Hilfskredite nicht hätte annehmen dürfen. Am Morgen nach der ARD-Ausstrahlung titelte Bild, zum ersten Mal hätte ein Politiker zugegeben, dass Griechenland pleite sei. Es war eine Farce.
Die Mauer aus Ablehnung und Beliebigkeit
Varoufakis sagt das seit fünf Jahren. Er sagte es vor seiner Wahl wie nach seiner Wahl, er sagte es in Medien in Griechenland und überall sonst, auch in Deutschland – zum Beispiel in der Zeit, und natürlich sagte er es im selben Film schon Wochen vorher auf Arte. Darauf hingewiesen wirkte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann auf Twitter ernsthaft überrascht. Es scheint, dass bei Deutschlands größter Tageszeitung auch sechs Wochen nach der Wahl, nach sechs Wochen intensiver negativer Berichterstattung, niemand in der Redaktion wirklich irgendetwas von Varoufakis gelesen oder ihm auch nur zugehört hätte. Stattdessen startete man zur Bundestagsabstimmung die glücklicherweise nur mäßig "erfolgreiche" Nein-Kampagne zum Mithetzen.
Mir ist nicht klar, was in der Redaktion von Günther Jauch passierte, als man Varoufakis' Zusage für die Sendung bekam. Der Titel: Der Euro-Schreck stellt sich. Und dann hält man ihm in der Sendung vor, er würde provozieren? Das nun notorische Mittelfinger-Video, völlig aus dem Zusammenhang gerissen und manipulierend präsentiert?
Varoufakis hat das Ganze noch verschlimmert, weil man seine Antwort so verstehen musste, als wäre nicht der Einspieler "doctored" (also inhaltlich verzerrt), sondern die Bilder gefälscht worden. Dennoch: Als ich von Varoufakis' Teilnahme an der Sendung hörte, hatte ich gehofft, er bekäme die Gelegenheit, ein Loch in die Mauer aus Ablehnung und Beliebigkeit zu hämmern, die längst die Debatte bestimmt. Denn er ist nicht nur einer, der vielen Griechen wieder einen Hauch von Würde gegeben hat, weil er die Unterwürfigkeit vorheriger Regierungen abgestreift hat, er ist auch ein spannender Europäer, der kluge Dinge zu sagen hat. Vielleicht ist er gerade der spannendste Europäer überhaupt. Gleichzeitig ist er der wahrscheinlich am häufigsten falsch zitierte Politiker unserer Zeit.
Das sagt hoffentlich nicht schon alles.
Über Den Autor
Michalis Pantelouris ist gelernter Journalist und lebt in Hamburg. Die Frage, wie Griechenland in den Medien dargestellt wird, beschäftigt ihn schon lange – natürlich auch aus ganz persönlichen Motiven. Auch er war zu dem Thema schon Gast bei ARD-Talker Günther Jauch.
