Griechenland: Wie die »Institutionen« die Demokratie zur Strecke bringen.
Die Diktatur des Kapitals
Griechenland: Wie die »Institutionen« die Demokratie zur Strecke bringen. Ein Kommentar
Von Hannes Hofbauer
Kapital gegen Demokratie. Das Match, das zurzeit vor aller Augen läuft, könnte dramatischer nicht sein. Im Ringen um die Vorherrschaft befindet sich das Kapital zügig und – scheinbar – unaufhaltsam auf dem Vormarsch.
Da ist einmal die auffallend unterschiedliche Struktur der Akteure. Auf der einen Seite steht die nach üblichen parlamentarisch-demokratischen Usancen gewählte Regierung in Athen. Auf der anderen Seite wirkt eine Namen und Formen wechselnde Anzahl von Institutionen, deren demokratische Legitimität – vorsichtig ausgedrückt – zweifelhaft ist. Die »Euro-Gruppe« als von nationalen und dem EU-Parlament völlig unbeeinflussbare Initiative übernimmt die Aufgaben des dafür eigentlich vorgesehenen Rats für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin). Die Europäische Zentralbank (EZB) gibt, ohne dafür gewählt zu sein, den Staubsauger für faul gewordene Staatsanleihen. Und der Internationale Währungsfonds (IWF) mischt sich auf Zuruf seines bei weitem stimmenstärksten Mitglieds, den USA, in innereuropäische Angelegenheiten ein. Übrigens: Auch der als Reaktion auf die »Griechenland-Krise« im Frühjahr 2012 formierte Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) nahm sich die Konstruktion des IWF als Kapitalgesellschaft zum Vorbild. Der EU-weit mit 700 Milliarden Euro Stammkapital am prallsten gefüllte Topf ist bewusst außerhalb des regulären EU-Budgets angesiedelt; ohne Berlin, das über 27 Prozent der Stimmrechte verfügt, geht dort gar nichts.
Im Dickicht dieser unübersichtlichen Struktur obsiegt Kapitalinteresse über Volkswille. Die Wanderungsbewegung der seit dem ersten griechischen Hilferuf im April 2010 immer wertloser gewordenen griechischen Staatsanleihen ist ein Musterbeispiel dafür. Private Banken konnten sich, der EZB sei Dank, in dreistelliger Milliardenhöhe entschulden. Eine demokratisch herbeigeführte Entscheidung über die Einsetzung des EU-Bürgers als neuem Gläubiger hätte wohl dieser Art der Bankenrettung überall einen Riegel vorgeschoben.
Versuchten die Akteure des Kapitals – und als nichts anderes entpuppten sich die Manager der »Troika« – beim Verschieben der Schulden und Aufoktroyieren der Austeritätsmaßnahmen noch hinter den Kulissen zu agieren, so meldeten sie sich bei den bislang zwei Ankündigungen aus Athen, das Volk über die Vorgänge befragen zu wollen, lautstark zu Wort. Seinen Vorschlag, im November 2011 über den Verbleib seines Landes in der Euro-Zone ein Referendum abzuhalten, überlebte der griechische Ministerpräsident Papandreou politisch nur wenige Tage. Damit ging er für die »Institutionen«, die sich damals noch Troika nannten, einen Schritt zu weit. Die Politik im Land, vom Budget über die Verwaltung der Steuereinnahmen bis zu wirtschaftlichen und sozialen Agenden, war nach der Einsetzung der Troika nicht mehr verhandelbar. Und das Begehren, demokratisch nachfragen zu lassen, war für Brüssel trotz Papandreous Zusicherung, seinen Namen für die Fortsetzung der Maßnahmen in die Waagschale zu werfen, unannehmbar. Papandreous Abgang war kurz und schmerzlos, jedenfalls für die Interessen des Kapitals.
Mit der Parlamentswahl von 2015 meldete sich der Volkswille zu Wort. Sein Auftrag, Schluss mit dem IWF- und EZB-Programm zu machen, hätte deutlicher nicht ausfallen können. Die ganze Parteienlandschaft des Landes wurde in diesem Sinne umgekrempelt. Es scheint nichts zu helfen. Die vom neuen Ministerpräsidenten Tsipras angekündigte Volksbefragung über die unnachgiebige Haltung der »Institutionen« betrachten selbige als Affront. Demokratie über Fragen des Kapitals, das geht gar nicht. Und wenn, dann nur mit dem Versprechen, sich auf die Seite des Kapitals zu stellen. Vier Jahre zuvor war selbst diese Versicherung den Herren aus Brüssel und der Dame aus Washington zu wenig, zu unsicher.
Am Höhepunkt der Auseinandersetzungen musste sich dann noch die Euro-Gruppe mit ihrem umtriebigen Sprecher Dijsselbloem als »eine informelle, zwischenstaatliche Veranstaltung« outen. Dies hat der juristische Dienst des EU-Rates auf Anfrage des aus der Sitzung geschmissenen griechischen Finanzministers Varoufakis bekannt gegeben. Sein Rauswurf verstieß gegen kein Statut, weil ein solches gar nicht vorhanden sei. Die »Euro-Gruppe«, von deren Entscheidungen Millionen von Griechen abhängen, ist rechtlich inexistent. Das Kapital hat seinen Weg gefunden, die Demokratie bleibt auf der Strecke.
Von Hannes Hofbauer ist vor kurzem erschienen. Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter (Promedia Verlag, Wien)
