Sind Ältere feindseliger als andere?
	Die Generation 65 plus ist gegenüber sozial schwachen Gruppen feindseliger als andere Altersgruppen, sagt Prof. Wilhelm Heitmeyer.
	Warum tun sich alte Menschen mit Veränderungen so schwer? Woher kommen das sture Festhalten an Regeln und das Misstrauen gegenüber Fremden? Fragen, die alte Menschen auf keinen Fall hören wollen. Das kann auch Wilhelm Heitmeyer vom Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld bestätigen. Seit Jahren untersucht der Wissenschaftler das Verhalten der "Generation 65 plus". Im Interview erklärt Heitmeyer die Ergebnisse der von ihm geleiteten Langzeitstudie "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland". Dabei wurde von 2002 an zehn Jahre lang die Entwicklung von Vorurteilen gegenüber sozial schwachen Gruppen wie etwa Asylbewerbern und Obdachlosen untersucht.
	Eine zentrale Erkenntnis der Studie des Soziologen: Seine eigene Generation ist nicht kritikfähig.
	Was ist laut Ihren Untersuchungen das Auffälligste an der Generation der über 65-Jährigen?
	Wilhelm Heitmeyer: Wir haben festgestellt, dass die über 65-Jährigen sehr viel höhere "Abwertungswerte" haben als die mittlere oder jüngere Altersgruppe: Es zeigt sich etwas, was ich als "rohe Bürgerlichkeit" bezeichnen würde. Wer nicht Kriterien von Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz erfüllt, wird abgewertet. Das trifft etwa gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Behinderte oder Obdachlose. Die "Generation 65 plus" ist also ein Stück weit feindseliger gegenüber diesen Gruppen als andere Altersgruppen. Diese Abwertungen findet man unter ihnen nicht nur in der sogenannten Unterschicht, sondern auch in elitären Clubs. Dabei geht die ältere Generation zwar nicht mit Gewalt vor, aber mit entsprechenden Worten und auch mit Geschrei wird gelegentlich nicht gespart.
	-----Der Interviewpartner ---- Wilhelm Heitmeyer ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialisation und seit seiner Emeritierung 2013 Senior Research Professor an der Universität Bielefeld. Von 1996 bis 2013 war er Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität.----
	Das ist für uns vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft ein bemerkenswerter Umstand, auf den man reagieren müsste. Aber das tut man nicht. Diese Gruppe wird ignoriert, obwohl sie in der Öffentlichkeit - zum Beispiel bei Pegida - sehr lautstark in Erscheinung tritt.
	Warum ist das so?
	Heitmeyer: Wenn es nicht genügend soziale Kontakte gibt, wirkt Fremdheit irritierend. Das ist gerade bei älteren Menschen der Fall, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen und die nicht mehr so mobil sind. Da wirken Dinge, die fremd sind, störend: etwa Moscheen oder auch Obdachlose. Solche vermeintlichen Irritationen können im Zusammenspiel mit einer Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung zu Ablehnung und Feindseligkeit führen.
	Wie kommt es zu dieser Abwertung?
	Heitmeyer: Wer andere abwertet, wertet sich selbst auf. Dieser Mechanismus ist zwar nicht für die Alten spezifisch, aber besonders relevant. Bestimmte Quellen, aus denen sie Anerkennung bekommen, stehen nicht mehr zur Verfügung - etwa der Arbeitsbereich. Auf Partys wird beispielsweise ja nicht gefragt: "Wer bist du?", sondern: "Was machst du?". Danach wird der Status eingeordnet und mit dem Ruhestand fällt dies weg. Auch die Anerkennungsquelle über Kinder ist oft ebenfalls nicht mehr vorhanden, weil diese häufig anderswo leben. Dazu kommen materielle Verlustängste, die mit Statusabstiegen verbunden sind.
	Wirkt die abwertende Sicht allein stabilisierend?
	Heitmeyer: Nein. Man baut sich seine Welt zusammen und ein Ordnungsschema im Kopf auf: Das sind die Guten, das sind die Schlechten. Wir sind überlegen, die sind unterlegen. Damit wird die Welt ein Stück weit vereinfacht. Wir leben ja in einer Zeit mit ungeheurer Veränderungsgeschwindigkeit und die Frage kommt auf: Komme ich eigentlich hinterher? Die Alten kommen an vielen Stellen eben nicht hinterher. Das schaffen ja selbst die Mittelalten kaum, wenn man an die Digitalisierung und die Veränderungen in der Arbeitswelt denkt. Wenn die Lebenswelt so durcheinander gebracht wird, braucht man Stabilisatoren. Das kann zum einen das soziale Umfeld sein - der Ehepartner oder Verwandte - zum anderen muss es auch Stabilisatoren im Kopf geben.
	In der Dokumentation gibt es eine Szene, in der mehrere Bewohner im Alter zwischen 70 und 80 Jahren mit Blick auf Flüchtlinge ohne Scham die schlimmsten Verdächtigungen äußern. Wie kommt es dazu?
	Heitmeyer: Äußerungen wie etwa "Die kommen her, um zu klauen" kommen daher, dass die Kriminalitätsfurcht in der älteren Bevölkerungsgruppe besonders hoch ist. Obwohl die, die eigentlich Angst haben müssten, eher junge Leute sind. Sie werden sehr viel eher Opfer von Kriminalität wie Diebstahl von Handys, Jacken oder Handtaschen als etwa alte Frauen.
	Wird von Seiten der Politik eigentlich etwas gegen Ängste von Senioren und die daraus resultierende Feindseligkeit getan?
	Heitmeyer: Nein. Um diese schleichende, verdeckte Feindseligkeit in Altenheimen - aber auch ganz normalen Familien - kümmert sich im Grunde niemand. Selbst dann nicht, wenn darauf hingewiesen wird, dass dort eine kritische Diskussion angefacht werden müsste. Aber Senioren sind eine sehr wichtige Wählergruppe und die Parteien scheuen sich, Veranstaltungen anzubieten, um kritische Debatten anzustoßen; etwa auch zwischen Jung und Alt. Die Parteien befürchten, diese Wählerschaft zu verlieren. Das ist schon ein ziemliches Problem.
	Haben die Ergebnisse Ihrer Studie auch Ihren Blickwinkel verändert?
	Heitmeyer: Ja. Wir haben beispielsweise Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auch im Verhältnis der Geschlechter untersucht. Bei der ersten Untersuchung stellte sich heraus, dass die Frauen Fremde stärker ablehnen, also eine rassistischere Einstellung haben als die Männer. Das fanden wir auch etwas irritierend, aber das hat sich bei den Untersuchungen über die ganzen zehn Jahre stabilisiert. Und die Kombination von Kirchenbesuch und älterer Generation hat es ebenfalls in sich. Diejenigen, die sehr religiös sind, haben höhere Abwertungsergebnisse als Nicht-Gläubige.
	Wie schafft man es im Alter nicht feindselig zu sein oder zu werden?
	Heitmeyer: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich bin kein Gesellschaftsarchitekt. Aber dass wir alle irgendwie anfällig sind für Vorurteile und Abwertungen, das muss man sich selbst immer wieder vergegenwärtigen.
	Das Fernseh-Interview führte Anke Hunold für ihre Dokumentation "45 Min: Alt und stur - Muss das sein?". Für einen besseren Lesefluss geben wir es hier in Absprache mit dem Interviewpartner gekürzt wieder.
